Die Ratten von Deshnok

06:30 Uhr geht der Wecker, es ist noch dunkel. Das liegt aber nicht unbedingt an der Uhrzeit, hab ich ja schon geschrieben. Ich stehe auf und schaue durch die steinvergitterten Fenster und draußen ist tatsächlich noch ziemlich düster und dazu ziemlich nebelig. Duschen, Packen, Frühstücken, Auschecken, das klappt mittlerweile schon ganz gut. Das Frühstück war so lala, wobei es der klassische Mitteleuropäer hier sowieso schwer hat. Letztlich ist es so wie in Südostasien, morgens das gleiche wie abends, also kräftige warme Speisen, hier allerdings  unterfüttert durch mildes Brot oder Reispfannekuchen.

Erster Punkt des Tagesprogrammes ist der Ratten-Tempel von Deshnok, den wir gestern nicht mehr geschafft haben. Laut Reiseführer einer der bizarrsten Tempel Nordindiens, in dem Abscheu und Neugierde die den westlichen Touristen beherrschenden Gefühle beim Rundgang durch diesen Tempel sind. Im Glaubenskosmos der Inder werden die Mitglieder einer bestimmten Kaste als Ratte wiedergeboren, um sie so dem Zugriff der bösen Geister zu entziehen. Daher leben in diesem Tempel hunderte von Ratten, die von den Indern als Heilige verehrt werden. Sie werden gefüttert und ihnen werden Opfer gebracht.


 Da die Tempel in Asien grundsätzlich ohne Schuhwerk, d.h. barfuß betreten werden, haben wir uns von zu Hause ein paar alte Socken mitgebracht, die wir anschließend hier entsorgen können. Aber auch hier hält der Fortschritt Einzug und wir bekommen am Eingang jeder ein paar Filzpantoffeln, wie man sie auch in den besseren Hotels vorfindet. Bine zieht die Pantoffeln über ihre Socken. Ich bin barfuß und denke jetzt einfach mal nicht darüber nach, wie viele Füße die schon getragen haben und glaube, dass sie jedes Mal neu gewaschen werden. Besser als Rattensch… unterm Fuß. Beim Betreten des Tempels steigt einem sofort ein beißender Geruch in die Nase, Ratten laufen kreuz und quer und überall liegen Köttel herum. In der Mitte des Tempels steht ein Schrein, wo die Gaben geopfert werden können und überall in dem weitläufigen Bereich gibt es „Futterplätze“ wo sich die kleinen putzigen Tierchen in Massen tummeln. Wenn einem eine Ratte über den Fuß läuft, soll das Glück bringen. Demzufolge wird Bine in der nächsten Zeit reichlich Glück haben. Trotzdem verlassen wir nach einiger Zeit diesen krassen Ort, denn meine Frau befindet sich momentan „an der Ekelgrenze“ (Originalton). Dabei meint sie den Geruch und nicht die possierlichen Tierchen…Es gibt Dinge, die sind schwer zu verstehen.

Wir verlassen Bikaner und begeben uns auf den Weg nach Jaisalmer. Die Stadt liegt im westlichen Rajasthan am Rander Wüste Thar, nicht weit von der Grenze zu Pakistan. Hier werden wir 3 Tage verbringen, also fast so etwas wie normaler Urlaub. Das Mittagessen läuft wie gewöhnlich, Rewat steuert eine seiner geliebten Raststätten an, wobei wir hier nichts essen. Ist aber auch nicht schwierig, weil das Frühstück noch vorhält, und wenn wir später Hunger bekommen, muss er halt nochmal anhalten.

Laut Ashok’s Reisebeschreibung befindet sich auf dem Weg, ungefähr hundert Kilometer vor Jaisalmer ein Tempel. Er ist in keinem unserer Reiseführer aufgeführt, trotzdem beschließen wir, diesem einen kleinen Besuch abzustatten. Rewat lässt uns an einem Parkplatz raus, erklärt uns den Weg, ermahnt uns auf unsere Klamotten aufzupassen (Sicherheitsfanatiker) und wir stapfen los. In dem gesamten Dorf rund um den Tempel sind Buden aufgebaut und es herrschen Volksfest-ähnliche Zustände.  Hinterher erfahren wir von Rewat, dass dieser Tempel für viele Inder ein Heiligtum darstellt und sie viele Kilometer pilgern, um hierhin zu kommen. Wir finden den Tempel nicht auf Anhieb und passieren erst einmal jede Menge Markstände hinter denen die Inder freundlich grüßen oder grinsen. Hier war noch kein Tourist. Ich könnte Ihre Aufmerksamkeit höchstens noch erhöhen, wenn ich in Frauenkleidern rumlaufen würde. Noch mehr Aufmerksamkeit zieht Bine mit ihren blonden Haaren auf sich.

Der Tempel ist mehr eine Katakombe zu der eine Reihe von Stufen hinab führt. Unten gibt es einen kleinen Opferschrein, wo ein Feuer und Räucherkerzen brennen. Die Inder gehen die Stufen hinab, am Schrein vorbei, stehen dahinter an einem Gitter hinter dem sich ein schwarzes Loch auftut, sprechen ein paar Worte und gehen wieder nach oben. Da außer „Hello“ oder „Where are you from“ nicht viel englisch zu erwarten ist und auch Rewat nicht zur Aufklärung beitragen kann, bleibt uns Sinn und Zweck dieses Tempels weiterhin verborgen. Mal googlen. Zurück geht es über den Markt, wo wir auf zwei ältere indische Damen die mich in fließendem Indisch, aber trotzdem unmissverständlich auffordern ein Foto zu machen. Während ich in die Knie gehe und mich warmschieße – Give me a smile – taucht eine indische Großfamilie auf. Auch sie wollen alle mit aufs Bild. Erst die Damen, dann die Herren, dann alle zusammen, und mit mir und vor allem mit Bine. Während ich fotografiere klicken zig Handys und Videos werden auch gedreht, für zuhause. Mein Sonntagnachmittagserlebnis mit der blonden Frau.


Irgendwann müssen wir einfach abbrechen, der Film ist bald voll. In diesem Urlaub das bisher schönste Zusammentreffen mit der indischen Bevölkerung.
Wir nehmen die restlichen 100 Kilometer Richtung Jaisalmer in Angriff. Seit wir Bikaner verlassen haben müssen wir immer öfter irgendwelchen Kühen ausweichen, die mittig auf der Straße steht. Ich bin heilig. Das dies nicht immer gut geht zeigt uns eine Unfallstelle, an der gerade ein Reisebus wieder aufgerichtet wird. Hier ist aber nochmal alles gut gegangen. Allerdings sehen wir auch den ein oder anderen Kuhkadaver am Straßenrand. Hier hatte die Kuh weniger Glück, aber wer weiß, was nach die nächste Reinkarnation so bietet.

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